Leon am Morgen.
Der Morgen begann wie die vorangegangenen, viel zu früh. Die ersten Pilger machten abermals gegen 6 Uhr durch wilde Packgeräusche auf sich aufmerksam. Wir brachten es dennoch fertig bis kurz nach sieben liegen zu bleiben und erst dann standen wir auf.
Nach einer kurzen Morgentoilette standen wir um circa halb acht in der Klosterküche. Das heißt wir standen in der Küche die den Pilgern im Kloster eingerichtet worden war. Viel Zeit blieb nicht, gerade genug um schnell einen Tee zu trinken und ein, zwei Kekse zu verspeisen. Dann wurden wir auch schön höflich gebeten das Gelände zu verlassen und unserer eigentlichen Tagesbeschäftigung dem Pilgern zu frönen. Wir fuhren entlang der Nationalstraße und mühten uns durch ein scheinbar nicht mehr enden wollendes Industriegebiet. Im Freisitz einer kleinen Bar, direkt an der stark befahrenen Straße, nahmen wir ein Frühstück ein. Unzählige Pilger passierten uns, während andere sich ebenfalls im Umkreis niederließen um etwas zu sich zu nehmen. Im Kloster haben wir am Abend zuvor zwei spanische Rentner kennen gelernt, welche uns nun ebenfalls überholten. Sie wollten den Jakobsweg mit dem Rad von Leon bis Santiago fahren. und hatten sich mit neuen Rädern sowie allem erdenklichen Zubehör ausgestattet. Die Räder waren, außer dass sie neu waren, nichts Besonderes, jedoch zogen die beiden aufgrund ihrer farbenfrohen Kleidung sämtliche Blicke auf sich. Die sahen doch wirklich aus wie zwei Papageien auf Wanderschaft. Mit einer leuchtend gelben Regenjacke und der dazu passenden blauen Hose war der eine, mit einem scheinbar ebenfalls neuen Trainingsanzug der andere ausgerüstet. Wir tranken unseren Cafe con leche und machten uns ebenfalls auf, sämtliche Fußpilger ein und natürlich auch zu überholen.
Die leuchtend gelbe Regenjacke war am Horizont deutlich zu erkennen, schien allerdings nicht näher zu kommen. Im Wanderführer hatten wir gelesen, dass es nun zwei Möglichkeiten für die Pilger gab. Es wurde die Landschaftlich schönere beschrieben welche nicht direkt an der Nationalstraße entlang, sondern durch kleine Dörfer führte. Egal was beschrieben wurde, wir nahmen die andere Route. Wir fuhren die Nationalstraße und ließen uns von LKWs, Autos und den allgegenwärtigen Mopeds überholen. Wir taten dies nicht weil wir dem Wanderführer und seinen aussagekräftigen Höhenprofilen keinen Glauben schenken wollten, sondern weil wir ganz offensichtlich den Abzweig verpasst hatten. In San Martin del Camino machten wir abermals eine Pause. René schien nun die Wirkung des Kaffees einzuholen und ohne einen Besuch auf dem stillen Örtchen konnte es nicht weitergehen.
Die Herberge wurde gerade gereinigt und somit standen uns Tor und Tür offen um dringlichen Geschäften nachzugehen. Bereits nach geschätzten zwei Minuten kam mein Weggefährte nun schon halb gekrümmt wieder heraus und verkündete, dass er sich zunächst auf die Suche nach Toilettenpapier begeben müsse.
Dies erinnerte mich an einen Klassenkameraden während meiner Grundschulzeit. Er hieß ebenfalls Martin und saß des Öfteren in der Klasse und kniff sich seine Hose vorn zusammen. Nachdem sein Kopf so rot geworden war das auch die Lehrerin dies nicht mehr übersehen konnte und ihn schließlich fragte was denn los sei, antwortete er stets weinerlich das er unbedingt einmal aufs Klo müsse. Oft kam es dann vor das Martin eine viertel Stunde später, immer noch mit hochrotem Kopf, doch nun auch noch heulend, zurück in die Klasse kam um vor versammelter Mannschaft zu erklären, dass das Papier alle sei. Schon in diesem jungen Alter hat mich dieses Verhalten derart beeindruckt das ich noch heute daran zurückdenken muss.
René der weder heulte noch einen roten Kopf hatte deutete mir irgendwann an, dass es weitergehen könne. Ich hatte mir die Zeit mit einer Zigarette, unserem Wanderführer und einem nun tatsächlich aussagekräftigen Höhenprofil, welches wir im Kloster mitgenommen haben, vertrieben. Man konnte auf diesem jede noch so kleine Zacke in der Landschaft ausmachen und es stellte sich heraus, dass sollten wir heute dazu kommen, ein wirklich harter Brocken auf uns warten würde. Der Monte Irago, welcher mehr als 1500m hoch ist. Man muss allerdings bedenken dass Leon bereits auf 800m Höhe liegt und sich somit 1500m etwas relativieren. Es sollte dennoch 700 Höhenmeter geben, doch zunächst mussten wir erst einmal in die Nähe des Berges gelangen.
Sehen kann man die Berge lange bevor man sie erreicht und so konnten auch wir die Montes de Leon deutlich am Horizont erkennen. Das fand ich überhaupt sehr faszinierend. Seit wir in Girona landeten waren die Berge unsere ständigen Begleiter. Barcelona ist von Bergen umgeben, von Pamplona konnte man die Pyrenäen und auf der weiteren Reise das Kantabrische Gebirge sehen und nun lagen die Montes de Leon ein Ausläufer der Kordilleren vor uns. Ich hatte ständig die Angst jeden einzelnen dieser mitunter sehr hoch erscheinenden Berge überqueren zu müssen.
Doch zunächst ging es recht flach bis Hospital de Órbigo. Dort verließen wir die Landstraße und trafen abermals auf unsere rüstigen Radwanderer, welche in der Zwischenzeit etwas dezenter gekleidet waren. Wir machten ein paar Fotos und beschlossen den Weg ein Stück gemeinsam zu fahren. Das lustige war, und das war während der gesamten Reise mein Problem, dass ich aufgrund meines doch recht südländischen Aussehens ständig in Ihre Gespräche einbezogen wurde und leider rein gar nichts verstand. René musste dann für uns beide antworten und teilte Ihnen bei der Gelegenheit mit das ich im Moment noch nicht in der Lage sei Ihren Ausführungen zu folgen.
Als wir von einer kleinen Landstraße auf einen Feldweg abbogen und dieser in einen sehr unwegsamen, leicht ansteigenden Schotterweg mündete zeichnete sich ab, dass die beiden uns nicht folgen könnten und wir nicht in der Lage waren noch langsamer zu fahren. Wir trennten uns also und sagten dass wir bis Astorga schon einmal vorfahren würden. Tatsächlich war es nicht weit bis Astorga und um die Mittagszeit saßen wir bereits auf dem Marktplatz und aßen Obst und Würstchen. Die Sonne schien, es war sehr warm und auch sonst war nun alles in Ordnung. Die Medikamente hatten ihre Wirkung nicht verfehlt und so nahmen wir dann und wann noch ein wenig davon ein. Es war herrlich. Das erste Mal seit unserem Start in Pamplona schien die Zeit nun nicht mehr gegen uns zu arbeiten. Nichts zwang uns tatsächlich heute über den Berg zu fahren, doch da er nicht mehr weit weg war beschlossen wir uns ihn einmal anzusehen und notfalls irgendwo am Berg zu übernachten. Es war uns natürlich beiden klar, dass wir nirgendwo anders als hinter dem Berg übernachten würden. Der Berg würde ja vermutlich am nächsten Morgen noch immer dort stehen wo er heute stand und die Vorstellung früh halb acht gezwungen zu sein ihn zu überqueren war einfach abscheulich. Wir nahmen Abschied von Astorga und machten uns wieder auf den Weg. Der Weg stieg permanent leicht an, doch wir waren von der Natur und der Sonne so abgelenkt, dass wir dies gar nicht mitbekamen. Wir fuhren teils auf einer kleine Straße direkt neben dem Weg oder eben auf dem Camino unmittelbar neben der kleinen Straße. Ständig huschten mittelgroße, grüne Echsen, welche es sich auf dem heißen Asphalt gemütlich gemacht hatten, in die angrenzenden Gebüsche. Gesäumt war der Weg von Koniferen zum Einen und den Bergen in der Ferne zum Anderen. Wir fuhren in aller Ruhe und in einer einsamen Bar am Weg, welche sich in einem sehr kleinen und heruntergekommenen Ort befand machten wir kurz Pause um eine eisgekühlte Cerveza zu trinken. Dann ging es weiter nach Rabanal wo wir abermals kurz anhielten um unsere Trinkwasservorräte aufzufüllen. Rabanal ist der letzte Ort vor den Montes de Leon und diente früher vielen Pilgern als Ruhestätte vor der Überquerung der wegen Wölfen und Banditen oftmals gefährlichen Berge.
Wir fürchteten weder Wölfe noch Banditen und so machten wir uns bereits nach 5 Minuten auf um uns langsam zum Cruz de Ferro zu kämpfen. Die Sonne knallte und aus jeder Pore quoll, in einem nicht enden wollenden Strom, das Wasser, welches wir ständig tranken. Nach einer dreiviertel Stunde erreichten wir Foncebadon ein halb verfallenes Dorf auf dem Weg zum Cruz de Ferro (Eisenkreuz). Wir aßen einen Müsliriegel und setzten unseren Aufstieg, wenn man das als Radfahrer so bezeichnen kann, fort. Wenig später erreichten wir das Cruz. Seit Jahrhunderten ist es Brauch, dass die Pilger dort einen Stein niederlegen und ein Gebet sprechen. Der Stein sollte jedoch aus der Heimat sein. Da wir es beide versäumt hatten, Steine aus der Heimat mitzubringen mussten wir nicht lange rasten. Es war jedoch ein unglaublich großer Haufen der das Kreuz umgab und ich bezweifle, dass auch nur die Hälfte der Steine von weiter her als Rabanal kam.
Es ging ein kleines Stück bergab und im Anschluss erneut für ein paar hundert Meter bergauf. Doch dann waren wir endlich am höchsten Punkt angekommen und konnten ins Tal des Rio Sil hinabschauen. Vor uns lagen nun EINTAUSEND Höhenmeter Abfahrt. Für mich ist dies, abgesehen von der Aussicht oben, der einzig vernünftige Grund, überhaupt einen Berg raufzufahren. Wir zogen uns die Winddichten Regenjacken an, um bei der Abfahrt nicht zu erfrieren. Für diejenigen, welche nicht sooft mit dem Rad auf Berge rauf und wieder runter fahren sei hier erläuternd erwähnt, dass man bei der Abfahrt durchaus mit Geschwindigkeiten zwischen 60 und 80 km/h rechnen kann. Da man während des Anstiegs sehr geschwitzt hat, kann einen das schon sehr auskühlen. Wir zogen also die Jacken an, schnallten die nicht vorhandenen Helme fest und begaben uns erneut auf den Camino, bzw. auf die Route, welche auf diesem Streckenabschnitt für die Radfahrer den Camino darstellt. Es lief, wie das bei einer Abfahrt so üblich ist, alles von selbst. Die Temperatur stieg mit jedem Meter dem wir dem Tal näher kamen um mindestens ein Grad Celsius. In El Acebo hielten wir an um ein Bier zu trinken. !987 verunglückte hier der deutsche Pilger Heinrich Krause mit dem Rad tödlich und immer noch erinnert ein Denkmal an Ihn. Wir waren natürlich bemüht es ihm nicht gleich zu tun und so erreichten wir nach weiteren 9km Kilometern rasanter Abfahrt Molinaseco.
Der Ort war uns auf Anhieb sympathisch. Direkt am Rio Meruelo luden Wiesen zum Verweilen ein. Es gab kleine Bars und alles sah so herrlich alt aus, dass wir am liebsten sofort die Räder beiseite gestellt und es uns mit ein, zwei kühlen Bier gemütlich gemacht hätten. Doch zunächst galt es die Herberge aufzusuchen und das Gepäck loszuwerden. Die Herberge lag am Ortsausgang und sah, genau wie der Ort selbst, sehr einladend aus. Man hatte die Möglichkeit draußen zu schlafen. Es Standen entlang des überhängenden Daches lauter Betten und die Temperatur war hier scheinbar auch nachts so angenehm, dass es mit Sicherheit herrlich war hier in der Natur zu übernachten. Siegessicher schritten wir zum Herbergsleiter und teilten ihm mit das wir zwei Peregrinos gerne die Nacht hier verbringen würden. Doch wie es uns schon mehrfach passiert war und noch öfter passieren sollte, war auch diese Herberge leider bereits ausgebucht. Auf diesen Umstand will ich später noch zu sprechen kommen. Uns wurde mitgeteilt, dass es lediglich fünf Kilometer bis Ponferrada seien und dass wir in der dortigen Herberge mit Sicherheit eine Unterkunft für die Nacht finden würden. Tatsächlich war es etwas weiter doch in Ponferrada angekommen sollten wir tatsächlich ein Bett gefunden haben. Die Herberge war sehr modern und die Schlafsäle, im Keller des Hauses, standen abermals voller Doppelstockbetten, welche erneut darauf hinwiesen, dass wir uns an einem weiteren Austragungsort des Schnarchweltcups befanden.
Wir duschten nur schnell und dann begaben wir uns auf die Suche nach einer Möglichkeit unsere ausgehungerten Pilgermägen zu versorgen. Wir waren uns zunächst einig essen zu gehen. Wir gingen zum Nahe gelegenen Touristeninformationsbüro und René fragte nach einem Stadtplan und Möglichkeiten eine Mahlzeit in einer recht angenehmen Bar einzunehmen. Das Mädel im Büro unterhielt sich daraufhin ausschließlich mit mir und erklärte mir wo sie immer hingehe und wo wir auf gar keinen Fall hingehen sollten. Ich nahm dies zumindest an da ich ja wie ihr wisst zu diesem Zeitpunkt über einen nur sehr begrenzten spanischen Wortschatz verfügte. Irgendwann schien sie bemerkt zu haben dass ich ihren Ausführungen nicht wirklich folgen konnte und schon stand René parat der ihr ganz ruhig erklärte, dass ich kein spanisch spräche. Ihr missfiel dieser Umstand ganz offensichtlich, da sie sich ja die letzten Minuten ausschließlich mit mir unterhalten hatte. Nachdem wir im Anschluss auch noch klären konnten, dass sie besser deutsch als ich spanisch sprach zogen wir los und suchten uns eine der im Stadtplan gekennzeichneten Kneipen.
Wir studierten die Karte und beschlossen uns auch die nächste erst einmal von außen anzusehen. Dort angekommen taten wir dasselbe und dies zog sich dann so fort. Wir fanden nirgendwo das wonach wir suchten und waren uns mittlerweile gar nicht mehr sicher ob wir überhaupt soviel Geld für ein Abendessen ausgeben sollten. Nach langen hin und her und dem Abwägen sämtlicher Vor und Nachteile entschieden wir uns in den Supermarkt zu gehen, uns dort mit Lebensmitteln einzudecken, welche wir im Anschluss in der Herbergsküche kochen würden. Wir liefen und liefen und waren uns unserer Sache überhaupt nicht mehr sicher. Es standen sich fixe Kosten von neun euro pro Person und unvorhersehbare Kosten, sowie Kochen in der geschäftigen Gemeinschaftsküche gegenüber. Am Supermarkt angekommen entschieden wir ohne Umweg ins nächst gelegene Restaurant essen zu gehen. Wir bezahlten jeder unsere neun Euro und erhielten dafür ein Menu mit Vorspeise, Hauptgang, Nachspeise und einer Flasche Wein. Es schmeckte recht gut und bevor es neun wurde galt es nur noch eine weitere Flasche Wein im gegenüberliegenden Supermarkt zu erwerben. Nach dem essen liefen wir zurück in die Herberge und im Anschluss noch einmal an den Rio. Gegen zehn mussten wir wieder in der Herberge sein da diese um diese Uhrzeit geschlossen werden würde. Im Garten der Herberge waren immer noch reichlich Pilger mit dem Öffnen von Weinflaschen und dem Einnehmen von frisch zubereiteten Mahlzeiten beschäftigt. Wir unterhielten uns mit zwei Kanadiern, welche gerade ihre mit Blasen versehenen Füße versorgten. Ich meinte der eine lief wie ein Huhn, woraufhin sein Kompagnon meinte er sehe eher wie ein Pinguin aus. Erfahrungen wurden ausgetauscht und wie immer stellten wir mit Verwunderung fest, dass wir noch heute Morgen dort gewesen sind wo unsere Gesprächspartner bereits vor vier Tagen aufgebrochen waren. Wir hatten viel zu lachen, bis wir letztendlich den Abend mit einem letzten Schluck aus der Flasche beschlossen und uns zu Bett begaben.
Wir sind an diesem Tag 112km gefahren und haben eine wichtige Hürde auf dem Weg nach Santiago genommen. Einen der letzten großen Berge haben wir hinter uns gelassen und der nächste Tag sollte, so wie der vergangene auch, zunächst mit einem flachen Stück beginnen.
man könnte ja echt fast neidisch werden.. wobei WIR ja auch schöne radwege haben.. und sehenswertes.... und schnarchkonzerte nächtlich.. naja da hörts dann wohl auf.. aber dafür haben wir hier die gröhlenden punks auf der straße...
AntwortenLöschenich will noch mehr fotos! und noch längere reiseberichte und noch mehr lustige und weniger lustige anekdoten von der wanderschaft...
pedro du bist spitze!! Go go go möchte mann da schon fast zurufen!
(so ich hoffe das war genug statement für dich...)