
Der Dienstagmorgen begann genauso wie der Montag begonnen hatte. Gegen 5:45 Uhr stand mein Bettnachbar auf und begann seine Reisevorbereitungen zu treffen, während ich mich wieder umdrehte und weiterschlief. Als ich 7 Uhr erneut aufwachte waren bis auf wenige Pilger die meisten verschwunden oder mit dem Frühstück beschäftigt. Wir standen in aller Ruhe auf und da wir diesmal kein Frühstück bekommen sollten, konnten wir nachdem unsere Sachen zusammengepackt waren und wir uns erneut eine Hand voll Tabletten und Pulver eingeworfen hatten die Herberge verlassen.
René, von mir angesteckt, klagte nun ebenfalls über heftige Halsschmerzen. Wir sahen uns etwas in Logroño um und ich stellte fest, dass ich noch nie eine Stadt gesehen hatte die über eine solch große Population von Störchen verfügte. Überall wo ein Turm war, befand sich mindestens ein Storchennest. Es gab sogar eigens für Störche errichtete Türme, welche ebenfalls gut angenommen wurden. Wir durchfuhren also die Stadt und kehrten in einem Kaffee für ein Frühstück ein. Meinem Magen ging es wieder gut und auch die Kraftlosigkeit hatte sich so gut wie in Wohlgefallen aufgelöst. Wir nahmen jeder ein Croissant und im Anschluss noch einen Tortilla ein und tranken einen der wahnsinnig leckeren Cafe con leche.
Nach dem Frühstück begannen wir uns intensiv mit unserem Wanderführer auseinanderzusetzen. Wir stellten fest dass es immer noch 634km bis Santiago waren. Aufgrund unseres angeschlagenen Gesundheitszustandes erschien uns das zu viel. Wir mussten am kommenden Montag Santiago verlassen, um am Dienstag in Barcelona anzukommen. Dies bedeutete, dass wir nur noch 6 Tage Zeit hatten um das Ziel unserer Pilgerreise zu erreichen. Machbar war das ohne Frage, jedoch war uns klar, dass wir dabei keinen Kilometer unserer Reise mehr genießen könnten. Wir müssten jeden Tag etwas mehr als 100km fahren und das obwohl doch die eigentlichen Berge noch vor uns liegen sollten.
Wir beschlossen also unser Vorankommen zu beschleunigen indem wir ein paar Kilometer mit dem Bus zurücklegen würden. Die Strecke von Burgos bis Leon, welche im Wanderführer als zermürbend flach und eintönig beschrieben wurde, wollten wir umgehen oder besser umfahren. Auch dies, so war dem Wanderführer zu entnehmen, machen viele Pilger genauso. Was natürlich dennoch bedeutete, dass wir den Tag nutzen mussten um bis nach Burgos zu kommen. Das waren immerhin auch in etwa 130km die uns Anfangs durch hügeliges Gelände und am Ende durch besagte Ebene führen sollten. Nachdem wir bezahlt hatten, setzten wir uns wieder auf unsere Räder. Die Flaschen waren erneut mit Wasser gefüllt. Das heißt Renés Flasche war gefüllt und ich habe mir eine Wasserflasche gekauft. Meine eigene, in Barcelona neu erworbene, war irgendwie nicht mehr auffindbar. Wen sollte das allerdings wundern. Man kann doch schließlich einmal etwas vergessen wenn man Florstedt heißt. Wir verließen also jetzt Logrono auf der richtigen Landstraße. Wir wollten auch diesmal die Fahrradroute auf der Straße nehmen um schneller voranzukommen und unsere Kräfte zu schonen. Dies war leichter gesagt als getan. Ständig ging es hoch und runter und es war uns beiden bekannt das wir in etwa 1000 Höhenmeter zu fahren hatten. Doch an dieser Stelle möchte ich meinem Ärger Luft machen. 1000 Höhenmeter waren uns bekannt und in etwa genauso viele kamen hinzu. Für manch einen mag es gut sein, wenn er vor vollendete Tatsachen gestellt wird, ich für meinen Teil bevorzuge es vorher zu wissen was mich erwartet.
Als ich in Leipzig begonnen habe unsere ersten Etappen zu planen, habe ich mich mit dem Rother Wanderführer (14,90€) von Cordula Rabe, welcher ich auf jeden Fall noch eine saftige Mail schreiben werde, hingesetzt und mir die „aussagekräftigen Höhenprofile“ angeschaut. Eigentlich war abgesehen von den Bergen der gesamte Weg relativ flach. Es war anscheinend mit Steigungen von 200m auf 10km Länge zu rechnen. Da rollt man für gewöhnlich mit dem Fahrrad drüber. Doch schon die ersten Kilometer zeigten, dass die ach so tollen Höhenprofile alles andere als Aussagekräftig waren. Was hat Frau Rabe, oder wer auch immer für diese Frechheit verantwortlich ist, gemacht? Man nehme die Höhen der Herbergen und eventuell noch die von besonders markanten Punkten, dann hier und da die Höhe des Marktplatzes einer Stadt, welche über einen Marktplatz verfügt und verbinde diese mit Linien. So erhält man ganz einfach ein Höhenprofil. Nur Aussagekräftig ist dies dann wohl keineswegs. Wahrscheinlich nehme ich die Sache nur zu genau und man kann das nicht von einem Wanderführer verlangen, aber ich finde es eine Frechheit derartige Höhenprofile mit dem Adjektiv „aussagekräftig“ zu schmücken.
Wir fuhren also durch hügeliges Gebiet und hielten nur an, um unsere Trinkwasservorräte aufzufüllen. Zum Mittag gab es Bier und Würstchen in Belorado, einer der ersten Städte der größten autonomen Region Spaniens - Castilla y Leon. Die Region wird als Wiege des neuzeitlichen Spaniens und der spanischen Sprache, dem Castellano, angesehen. Burgos unser heutiges Etappenziel war lange Zeit die Hauptstadt des vereinten Königreiches Castilla y Leon. Doch mit dem Abschluss der Reconquista um 1492 (so wird die christliche Rückeroberung des Landes von den Arabern bezeichnet) und dem späteren Umzug der Regierung nach Madrid verlor Burgos an Bedeutung. Während der Diktatur unter General Franco war Burgos abermals Regierungssitz. Heute ist die Stadt ein wichtiger Industriestandort und wie schon erwähnt unser drittes Etappenziel.
Nach dem Mittagspäuschen, mehr war es wirklich nicht, hatten wir nur noch einen Berg zu überqueren bevor wir endgültig die spanische Hochebene befahren würden. Es war 14:30 Uhr und wir waren guter Dinge bis zum frühen Abend Burgos zu erreichen. Wieder einmal sah der Berg im Wanderführer viel leichter aus als er sich in Wirklichkeit darstellte. Es nützte alles nichts, wir mussten da drüber. Ich habe ein bisschen rumgejammert wie ich das des Öfteren mache. Indem ich mir selbst so Leid tue muss ich wenigstens nicht von anderen bemitleidet werden. Ich erfand das legendäre „Wanderführer du bist so eine verdammte Frechheit“ Lied und sang stellenweise aus voller Kehle. Die anderen Pilger werden mich für verrückt gehalten haben, aber mich hat mein Lied über den Berg gebracht. Ich mein man darf nicht vergessen das ich zu diesem Zeitpunkt krank, und nur durch den Einsatz von sehr starken Medikamenten in der Lage, war überhaupt solch eine Marathonetappe zu überstehen. An dieser Stelle soll nicht unerwähnt bleiben, dass spanische Erkältungsmittel bei denen die Apothekerin den Hinweis ausspricht man soll nicht mehr als eine Tablette im Abstand von 8 Stunden zu sich nehmen, durchaus das Prädikat „bewusstseinserweiternde Droge“ zugesprochen werden kann. Wie sonst wäre es denn möglich, dass ich schreiend auf einem Pilgerweg unterwegs gewesen bin?
Wir erreichten Burgos um dreiviertel sechs - liebe Leser: wer nicht weiß wie spät es ist, wenn es dreiviertel sechs ist, der sollte mal drüber nachdenken. Wir fuhren direkt zur Estacion de Autobuses. Das heißt wir versuchten dort direkt hinzugelangen. Fragt man einen Spanier nach dem Weg hat man das Gefühl, das Ziel sei eigentlich direkt um die Ecke. Stets freundlich wird einem dann der Weg gewiesen und es klingt als wäre nach einmal links und einmal rechts alles erledigt. Wenn man sich dann aber an die Wegbeschreibung hält, zumindest an den Teil den man verstanden hat, ist es meist doch noch ein ganzes Stück und nicht selten muss man sein Rad über Zäune tragen oder drei weitere Spanier nach dem Weg fragen.
Am Busbahnhof erfuhren wir, dass der nächste Bus bereits in einer halben Stunde gehen würde. Es sollte ein Expressbus sein der bis Leon durchfahren würde. Wir bezahlten einen nicht unerheblichen Betrag und mussten nun, so sagte man uns, noch unsere Fahrräder einpacken. Wir fuhren zum nächsten Supermercado und kauften eine Rolle mit sage und schreibe 100m – einhundert Metern – Frischhaltefolie. Dann fuhren wir noch schnell zur Kathedrale um wenigsten ein Erinnerungsfoto unseres doch sehr kurzen Zwischenstopps in dieser bedeutsamen Stadt zu schießen. In weniger als 10 Minuten mussten wir im Anschluss unsere Räder demontieren und in Folie wickeln. Rechtzeitig wurden wir damit fertig und bestiegen den Bus nach Leon. Die Fahrt sollte 2,5 Stunden dauern. Wenn ich nicht gerade schlief, schaute ich mir durchs Fenster die Landschaft an. Ich stellte dabei fest, dass Telegrafenmasten und Kirchtürme tatsächlich die größten Erhebungen im Umkreis von 200km darstellten. Überall waren Getreidefelder und ich war nun wirklich froh, dass ich der langweiligen Fahrt über die Hochebene auf diese Art und Weise entgangen war.
Kurz vor neun kamen wir in Leon an. Wir mussten uns nun abermals beeilen die Räder auszupacken, denn die Herberge würde nicht die ganze Nacht auf uns warten. Im Wanderführer stand geschrieben, dass die Albergue de las Cabarjalas um 21:30 Uhr schließen würde und bereits um 21:45 Uhr eine Messe mit Pilgersegen, sowie ein gesungenes Abendgebet auf dem Programm standen. Die Herberge, welche sich auf die Massenabfertigung von Pilgern spezialisiert zu haben schien, befand sich in einem Kloster von Benediktinerinnen. Schwester Anna Maria sollte mit uns das Abendgebet singen. Ich hatte eigentlich überhaupt keine Lust mehr. Ich wollte lieber schlafen und mich von dem doch sehr anstrengenden Tag ausruhen, doch René war der Meinung wir müssten uns das einmal ansehen. Wir zwei Heiden unter den vielen christlichen Pilgern.
So folgten wir der Pilgermenge in die Kapelle der Nonnen. Dort angekommen wurden Gesangs- und Gebetsbücher in den Sprachen der Pilger verteilt. Es gab nun kein zurück, denn die Herberge würde erst zum Ende des Gebets wieder geöffnet werden. Ich gab René leise zu verstehen dass ich ihm für die Teilnahme nicht gerade dankbar war und dann kam es ganz dick. René schien einen Anfall von Unwohlsein zu verspüren und fragte den Herbergsmitarbeiter nach einer Toilette. Da in der Kapelle natürlich keine vorhanden war begleitete ihn der „Bruder der Schwestern“ zurück zur Herberge um ihm den Gang auf den Lokus zu ermöglichen. Nun stand ich alleine da. Inmitten lauter fleißiger Christen. Die Oberschwester hieß uns willkommen und erklärte wie die Gebetsbücher zu handhaben seien. Das Buch war in Wochentage unterteilt. Dies beruhigte mich ungemein da ich zunächst annahm man würde das gesamte Heft durcharbeiten. Nachdem uns der Pilgersegen ausgesprochen wurde betraten wir die eigentliche Kapelle. Dort saßen weitere Schwestern, ich nehme an es waren insgesamt 12 bis 15. Es wurde gebetet was das Zeug hielt. Es wurde abwechselnd gesungen und gebetet und ich habe es bis zum Ende der Zeremonie nicht fertig gebracht die richtigen Seiten aufzuschlagen, geschweige denn die richtigen Verse aufzuspüren. Es kam mir so vor als sei ich der einzige dem dies misslingen sollte da alle anderen eifrig blätterten und sangen. Nach einer dreiviertel Stunde war die Zeremonie vorüber und so konnte auch ich mich zur Nachtruhe begeben. Ich möchte nicht behaupten, dass mir das ganze Prozedere missfiel, nur fühlte ich mich aufgrund meiner Ungläubigkeit und Unfähigkeit ein wenig fehl am Platze. René schien es wirklich nicht gut gegangen zu sein und er versicherte mir, dass er gerne dabei geblieben wäre. Ich wiederum versicherte Ihm, dass ich für Ihn gebetet und ihm immer Luft in seine Reifen gewünscht habe. Ich schlief diesmal ein ohne vom mit Sicherheit erneut ausgetragenen Schnarchwettbewerb etwas mitzubekommen.
Auf unserer dritten Etappe haben wir also 310km zurückgelegt und auch wenn wir nicht einmal die Hälfte davon aus eigener Kraft bewältigt haben so war es doch ein anstrengender Tag. Uns trennten nun nur noch 325km von Santiago de Compostela und wir hatten 5 Tage Zeit dorthin zu gelangen.
Wenn das so weitergeht lerne ich doch noch lesen! Ganz große KLASSE
AntwortenLöschenwann gehts denn weiter???!!!!
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