Freitag, 15. Juni 2007

Estella – Logrono – Navarrete – Logrono (Montag 14. Mai 2007)

Wir zwei an der Weinquelle - das WAR meine NEUE Trinkflasche - das ganze kurz nach 8 Uhr



Meine Regenerationsphase wurde mehrfach von Geräuschen unterbrochen, denen ich in Spanien eigentlich nicht lauschen wollte. Regen! Heftiger Regen!!! In unserer Turnhalle waren die Fenster geöffnet und somit war es mir nicht möglich das monotone Auftreffen der, vermutlich faustgroßen, Regentropfen auf den betonierten Vorplatz der Herberge zu überhören. Im Halbschlaf dachte ich noch an die Wäsche die eigentlich zum Trocknen im Hof hing. Mir war klar, dass dies nicht die Bedingungen sein konnten unter denen Wäschestücke jedweder Art ihrer Feuchtigkeit beraubt werden würden, jedoch war ich zu müde um einen anderen Ort für selbige auszuwählen. Morgen würde ja auch noch ein Tag sein und sollte die Sonne scheinen, würden Sie bestimmt ganz schnell trocknen.


Das nächste Mal wurde ich erst wieder geweckt als um 6 Uhr morgens ein Marsch der Nussknackersuite gespielt wurde. Ihr lest richtig, es war tatsächlich 6 Uhr. Ich versuchte mich, einer Mumie gleich, in meinem Mumienschlafsack den Klängen der Musik zu entziehen. Dieses Vorhaben konnte ich allerdings aufgrund der Lautstärke, mit der wir zum Aufstehen bewegt werden sollten, vergessen. Gegen 6.30Uhr folgten der eingeschalteten Turnhallenbeleuchtung, Tina Turner und Michael Jackson. Das war genug! Ich stand auf und auch René wollte unter diesen Bedingungen seine Nachtruhe nicht fortsetzen. Nun kurz ins Bad. Dort waren wir die einzigen, denn die anderen Peregrinos waren, wenn nicht schon seit Stunden wieder unterwegs, beim Frühstück.

Das Frühstück, welches wir für 3 Euro pro Person am Abend zuvor mitgebucht hatten, sollte aus Toast und Saft, Kaffee und Tee sowie Marmelade und Keksen bestehen. Wir gingen davon aus uns mit besagten Cerealien den Bauch voll schlagen zu können. Das was uns dann tatsächlich geboten wurde, wich auch nur in einer Winzigkeit vom bestellten ab. Es fehlte das Toastbrot. Das hatten nämlich die anderen Pilger schon verspeist. Super. Damit, dass es keine Wurst und keinen Fleischsalat geben würde, hatten wir uns bereits am Abend zuvor abgefunden. Das nun allerdings auch ein Mangel an Toastbrot bestand, war wirklich grauenhaft. Wo sollten wir uns denn die Marmelade hinschmieren? Klar auf die Kekse, etwas anderes war ja nicht auf dem Tisch. Ich war allerdings nicht in der Lage mir morgens dreiviertel sieben die 93 Kekse mit Butter und Marmelade zu beschmieren, welche notwendig gewesen wären um einen Pilgermagen zu füllen. Ich trank also, nach drei Keksen und einer Tasse Kaffee, einen Liter kalten Orangensaft und sofort merkte ich, dass dies meinem Magen nicht gefallen haben konnte. Ich beschloss, mich noch einmal hinzulegen, und alle Systeme Neuzustarten. Ein Unterfangen das nicht gerade einfach ist, in einer Pilgerherberge die sich im Aufbruch befindet. Nach zwanzig Minuten musste ich auch schon wieder Aufstehen, da man eine Pilgerherberge um spätestens 8 Uhr verlassen haben muss. Mit einem unguten Gefühl im Bauch sattelten wir die Bikes und begaben uns auf den Camino.

Wir kamen keine fünf Kilometer, als wir aufgrund einer weiteren, nicht gerade gesundheitsfördernden, Begebenheit halt machen mussten. Direkt am Camino standen wir plötzlich vor einer Quelle. Das hier jedoch kein, bzw. nicht ausschließlich, Quellwasser ausgeschenkt wurde, war schon von weitem zu vernehmen. Es war eine Weinquelle. Leider die einzige der wir während unserer Pilgerei begegnet sind. Da standen wir nun. Zusammen mit mehreren US-Amerikanern, zwei Japanern und einer Hand voll Europäern. Niemand hatte etwas Besseres zu tun als seine Trinkflaschen schleunigst zu entleeren und mit frischem Rotwein neu zu befüllen.

Keine Frage, dass wir nicht augenblicklich dasselbe taten. Ein kleiner Schluck und dann noch ein großer. Wir fotografierten die Amerikaner, welche im Gegenzug uns fotografierten und dann konnten wir weiter. Wir füllten nur eine der beiden Flaschen mit Wein, während die Andere weiterhin als Wasserflasche dienen sollte. Der Weg ging noch ein kleines Stück im Dorf bergan bis wir schließlich eine Landstraße überqueren und wieder auf Feldwegen pilgern sollten.

Mein Gesundheitszustand verschlechterte sich von Minute zu Minute. Die Erkältung, das mangelhafte Frühstück und der Wein auf meinen mehr oder weniger nüchternen Magen sorgten dafür, dass ich mich direkt an der Landstraße mehrfach übergeben musste. Nach zehn Minuten war ich dann auch wieder bereit mich auf mein Rad zu setzen. Wir beschlossen allerdings die Landtrasse, welche parallel zum Weg ging, zu nehmen. Ich muss zugeben wir sind nicht sehr weit gekommen und dann lies ich mir zum zweiten Mal alles durch den Kopf gehen. René meinte essen wäre jetzt überhaupt nicht mehr angebracht und auch von Getränken jedweder Art sollte ich erstmal Abstand nehmen. So fuhren wir weiter und ich glaube ich habe mich noch nie so kraftlos gefühlt. Wir kamen ungefähr zehn Kilometer, bis auf einem Feld kurz vor Sansol endgültig Schluss war. Ich konnte nicht mehr. Ich übergab mich weitere geschätzte sieben Mal ehe ich im Weizen versank und nicht bereit war mich auch nur noch einen Meter zu bewegen. Das Wetter hielt zu diesem Zeitpunkt glücklicherweise auch sonnige Abschnitte für uns bereit und so konnte ich mich im Feld erneut für eine Weile ausruhen. Hin und wieder bin ich aufgewacht. Unter anderem einmal, weil ein besorgter Spanier seine Autofahrt unterbrochen hatte und zu uns eilte in der Annahme wir seien angefahren und aufs Feld geschleudert worden. Nachdem wir ihn vom Gegenteil überzeugt hatten, setzte er seine Fahrt beruhigt fort.

Irgendwann beschlossen wir, oder vielmehr René, dass es mir jetzt wieder besser ginge und wir unsere Fahrt nun fortsetzen könnten. Es war grauenhaft. Die Landstraße, welche wir dem Feldweg weiterhin vorzogen, war sehr kurvenreich und geprägt von einem steten auf und ab. Noch immer konnte ich nur von Kraft träumen. Selbst auf geraden oder leicht abschüssigen Streckenabschnitten kam ich nur sehr mühsam voran. Zu allem Überfluss setzte auch noch Regen ein. Prima. Es waren wirklich perfekte Bedingungen um eine Erkältung auszukurieren. Wir waren nass bis auf die Haut und es war nicht gerade warm. Man hätte das Wetter eher dem deutschen Monat Oktober zuordnen können. Wir fuhren ein paar Kilometer bis Viana und dort machten wir abermals Rast. Diesmal jedoch nicht unter freiem Himmel sondern in einer Bar. Ich brauchte ungefähr zehn Minuten um mir einen Kamillentee zu bestellen. Kamillentee heißt auf Spanisch „la infusion manzanilla“. Die Kellnerin schlug mir diese mehrfach vor, da ich jedoch dachte es handele sich bei dem Getränk um irgendetwas mit Vanille, wiegelte ich jedes Mal ab. Schlussendlich durfte ich einen Blick auf die Originalverpackungen der vorhandenen Teesorten werfen um mir dann doch besagten Manzanilla zu bestellen. Wir bestellten außerdem noch für jeden ein Bocadillo con Jamon. Ich konnte vom Baguette gerade mal ein Drittel essen und auch dafür benötigte ich eine dreiviertel Stunde. Während dieser Zeit bestellte ich mir allerdings weitere vier Kamillentee. Wir entledigten uns der nassen Radsachen und ich ließ mir auch gleich meine Trinkflasche mit kochend heißem Wasser befüllen. Ich hatte nämlich seit Monaten noch zwei Teebeutel in meinem Rucksack und dachte, die könnte ich mir doch statt des kalten Quellwassers in meine Trinkflasche hängen.

Das Wetter schien sich allmählich zu bessern und so beschlossen wir unsere Fahrt fortzusetzen. Die nächst größere Stadt sollte Logrono sein. Die Hauptstadt der Rioja. Die Rioja ist eine vom Weinbau geprägte Region im Norden von Spanien, welche sich durch ihre wunderschöne Landschaft auszeichnet. An dieser Stelle sei bemerkt, dass der Wein wirklich zu empfehlen ist. Ich trinke seitdem keinen anderen mehr.

Wir erreichten also, es ging auch endlich ausschließlich bergab, Logrono. René machte keine Anstalten anzuhalten und ich bereits zum wiederholten Mal am Ende meiner doch so geringen Kräfte, traute mich nicht diesen Ort als unser Etappenziel vorzuschlagen, da es gerade einmal 15 Uhr war. Wir passierten die doch immerhin 142.000 Einwohner zählende Stadt an den Ufern des Ebros und fuhren weiter auf unserer, uns mittlerweile vertrauten, Nationalstraße. René schien sich über den Routenverlauf informiert zu haben und mir blieb sowieso den ganzen Tag nichts anderes übrig als zu versuchen sein Hinterrad nicht zu verlieren. Als ich, abermals am Ende meiner Kräfte, nach einer Pause schrie und halbtot auf einem Parkplatz zusammenbrach, nutzten wir die Gelegenheit für einen kurzen Blick in unseren Wanderführer. Für mich war dabei wichtig ein Etappenziel auszumachen, welches für uns beide geeignet und in nicht allzu großer Entfernung war. Zu unserem Leidwesen bemerkten wir jedoch das wir den Jakobsweg längst verlassen hatten und seit Logrono der falschen Landstraße gefolgt waren. Der Kartenausschnitt in unserem Wanderführer war allerdings so klein, dass unser Standort nicht mehr zu bestimmen war. Wir entschieden uns nicht zurück, sondern zu einem der nächsten Orte am Camino zu fahren. Navarrete der nächst größere Ort nach Logrono war nun unser Ziel. Wir fragten eine ältere Dame nach dem Weg. Diese versicherte uns es seien lediglich 5km bis Navarrete und obwohl wir ihren Worten nicht wirklich glauben schenkten, beruhigte diese Aussage ungemein. Natürlich waren es in Wirklichkeit 12km bis Navarrete und auch dieses Teilstück sollte von einem steten auf und ab geprägt sein. In Navarrete angekommen war ich abermals mit meinen Kräften am Ende. Schon unterwegs mussten wir mehrere kurze Pausen einlegen und ich erklärte René, dass ich nun wirklich nicht mehr in der Lage sei auch nur einen Kilometer zu fahren und mich unbedingt direkt in eines dieser wahnsinnig bequemen Peregrinobetten begeben müsste.

Die Stadt, eine Kleinstadt mit 2200 Einwohnern, besaß zwei Herbergen und zwei Hotels. Die Altstadt, welche sehr gut erhalten und ebenso gut gepflegt war, lag leicht erhöht auf einem Hügel. Den Kern des Städtchens bildete ein Platanenbestandener Platz mit einem Brunnen. Unsere Bemühungen ein Bett in einer der Herbergen zu bekommen verliefen erfolglos. Nicht einmal ein Zimmer in einem der beiden Hotels, für das ich bereit war jeden Preis zu zahlen, war noch zu haben. Der Ort war sozusagen ausgebucht. Ich deutete an das es mir nicht möglich sein würde die 17km bis zum nächsten Ort zu fahren und so entschieden wir mit dem Bus zurück nach Logrono zu fahren.

Wie uns Einheimische berichteten sollte der Bus entweder zur halben oder zur vollen Stunde fahren und da halb sechs kein Bus kam bedeutete dies wohl das um sechs Uhr einer fahren würde. Die Fahrt, welche uns gerade einmal 90 Cent und zwanzig Minuten Zeit kostete, führte uns also wieder dorthin zurück wo wir vor Stunden, ohne einmal anzuhalten, schon einmal gewesen waren. Während unserer Suche nach der Herberge bemerkten wir, dass die Stadt eigentlich eine schöne war und es doch schade gewesen wäre, sich hier nicht einmal in Ruhe umzusehen.

Wir erreichten die Herberge und man teilte uns mit, dass diese bereits ebenfalls voll belegt war, ABER dass wir um Punkt sieben Uhr in eine kirchliche Notunterkunft für Pilger gebracht würden. Unsere kleine Prozession, welche aus circa 45 Pilgern bestand führte uns ein paar Straßen weiter in ein Gebäude der Kirche. In Zehnergruppen betraten wir das Quartier. Wir sollten der zweiten Gruppe angehören und wurden in einen Raum geführt in dem 23 Matratzen nebeneinander ausgelegt waren.

Nun begann der Run auf die einzige Dusche der Unterkunft, welche für gewöhnlich als Schulungsstätte zu dienen schien. Wir beteiligten uns daran vorerst nicht, denn längst hatte ich bemerkt, dass in der Küche, in der sich Kochgelegenheiten, ein Kühlschrank sowie ein großer Tisch befand, bereits kleine Snacks und alkoholfreie Getränke aufgebaut waren. Wir bedienten uns ohne Rücksicht auf die derzeitig duschenden, bzw. vor der Dusche in einer circa 20m langen Warteschlange stehenden, Peregrinos und fanden bei unserer Suche nach Lebensmitteln auch mehrere Pakete Nudeln, sowie zwei große Gläser mit leckerer Tomatensauce. Den Herd hatte René umgehend in Gang gesetzt, während ich von einem ebenfalls aus Deutschland stammenden Fahrradpilger mit Chorizo versorgt wurde. Es dauerte nicht lange und dann hielt ich auch schon einen Teller mit dampfender Pasta in der Hand. Ich aß nicht sonderlich viel, aber gerade genug um etwas gestärkt den Abwasch machen zu können. Die Dusche, welche in der Zwischenzeit frei geworden war, konnte jetzt von mir blockiert werden.

Etwas gestärkt und frisch geduscht konnte ich mich nun in den Schlafsaal begeben und mich auf meiner Kunstledermatratze betten. René der mittlerweile ebenfalls über Symptome einer nahenden Erkältungskrankheit klagte, war währenddessen damit beschäftigt die nahe gelegene Apotheke leer zu kaufen. Wir teilten die Medikamente und nahmen jeweils zwei Tabletten, etwas zum Lösen in Wasser, ein Halsschmerzbonbon und ein weiteres fragwürdiges Medikament ein, ehe er sich ebenfalls zu Bett begab.

Was dann folgte war grauenhaft. Nach und nach trudelten die übrigen Pilger ein und betteten sich mit Pauken und Trompeten. Dabei war die Nordic Walking Gruppe aus Dettenheim, wider Erwarten, noch am ehesten darauf bedacht Unruhe jedweder Art zu vermeiden. Überall knisterte und „flüsterte“, raschelte und polterte es, ehe endlich Stille herrschte. Für einen kurzen Moment dachte ich, ich könnte nun in mich kehren und mit der Einschlafprozedur beginnen. Doch weit gefehlt, denn nun begann das eigentliche Highlight des Abends. Was wir nämlich nicht wussten, war, dass wir unser Quartier in einer Herberge gebucht hatten, welche als jährlicher Austragungsort des Schnarchweltcups weit über die Grenzen der Rioja hinaus bekannt geworden zu sein schien. Ich tobte innerlich. Den ganzen Tag war ich völlig kraftlos und nun konnte ich nicht einschlafen, weil vor, hinter und neben mir ein Wettkampf stattfand an dem sich sogar René beteiligte. Das hielt ich für mehr als unsinnig, da wir ja an den vorangegangenen Ausscheidungen überhaupt nicht teilgenommen hatten. Irgendwie muss ich es dann doch geschafft haben einzuschlafen und vermutlich habe auch ich an ein, zwei Wertungsprüfungen teilgenommen. Ich wachte hin und wieder auf und immer noch waren die Teilnehmer damit beschäftigt Punkte für die wahrscheinlich 100 karätige Trophäe zu sammeln.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieser Tag, mit Verlaub gesagt, der beschissenste unserer Pilgerreise war. Wir haben abermals nur etwas mehr als 75km zurückgelegt, wovon rund 20km dem erreichen Santiagos nicht dienlich waren. Mit ständig regennasser Kleidung und zitternd vor Kälte war eine baldige Genesung in weite Ferne gerückt. Einzig und allein die Unmengen an Medikamenten, auf denen überall der Hinweis stand, dass man um Gottes Willen nicht zuviel in allzu kurzer Zeit schlucken darf, konnten uns jetzt noch helfen.

1 Kommentar:

  1. armes pedro... da macht man sich direkt sorgen um dich kleinen hasi.. weil du keine mohlidecke bei dir führst.. daran liegt es! oder lag es.
    Bummel mal nicht immer so lang mit den einträgen... besonders nicht nach dieser scheinbar so schrecklichen Episode, wo man breits bangt ob der hauptdarsteller überhaupt das ende seiner erzählung erleben wird...

    AntwortenLöschen